FOCUS-Online-Reporter Axel Spilcker
Mittwoch, 19.01.2022, 08:27
Bundesinnenministerin Nancy Faeser kündigte eine Offensive an, um die Asylblockade in der EU zu beenden. Die SPD-Politikerin will unter deutscher Führung ein Bündnis aufnahmewilliger Staaten schaffen, um wieder mehr Flüchtlinge einreisen zu lassen. Dafür müsse es Ausgleichszahlungen von jenen EU-Nationen geben, die dem Pakt nicht beitreten wollen. Damit meinte die Ministerin insbesondere die Osteuropäer, die seit Jahren eine Asylrechtsreform verhindern.
Mit Blick auf die prekäre Flüchtlingslage an der Grenze zu Belarus forderte Faeser "ein effizientes und krisenfestes Asylsystem" in der EU. Deutschland will demnach mit einer Koalition der aufnahmebereiten Mitgliedstaaten vorangehen. Zugleich beschwor die Sozialdemokratin "einen neuen Geist" der Ampel-Bundesregierung in der Flüchtlingsfrage. Das Ziel sei mehr "reguläre Migration". Heißt unter anderem: Sichere Flüchtlingswege in die EU, ein schnellerer und besserer Zugang in Arbeit und Bildung nebst einem Rückführungsprogramm.
Nun ist der Ampel-Geist aus der Flasche entwichen. Neu ist er beileibe nicht. Schon die große Koalition unter Angela Merkel versuchte die EU-Mitgliedsstaaten für das Ziel einer regulären Migration zu gewinnen - allerdings erfolglos. Nun also soll ein Welcome-Refugee-Block der Gutwilligen angetrieben durch einen deutschen Motor die Quertreiber unter den 27 Mitgliedstaaten zu einem Umdenken bewegen.
Ein hehrer Wunsch gewiss, allerdings unausgegoren. Wer glaubt denn wirklich, dass die nationalkonservativen Autokraten in Ungarn und Polen auch nur einen Finger für das neue EU-Asylprojekt krümmen? Geschweige denn auch nur einen Euro an Faesers Koalition der Aufnahme bereiten Staaten zahlen würden? Das wäre so, als wenn ein Händler den Kunden mit Regressansprüchen belangt, der seine Ware gar nicht kaufen wollte.
Auch erscheint es eher naiv zu glauben, dass die südeuropäischen EU-Staaten angesichts fragiler Regierungsmehrheiten dem deutschen Kurs folgen werden. Zumal ihnen als auch dem französischen Staatspräsident Emmanuel Macron die Rechtsaußen-Anti-Migrationsfront im Nacken hängt.
Im selben Dilemma stecken die Niederländer, die ein Mordwelle krimineller, marokkanischer Drogenbanden plagt. Selbst die einst so liberalen Schweden und Dänen leiden immer noch unter dem Flüchtlingsstrom von 2015. Vor dem Hintergrund haben die Skandinavier gerade erst ihre Ausländergesetze verschärft. Kein Wunder, dass Ministerin Faeser keine Prognose abgab, wie viele EU-Partner der deutschen Asyl-Reform-Bewegung folgen wollen. Viele werden es nicht sein.
Am Ende wird es ausgehen wie weiland 2015. Die Deutschen tragen in der EU die Hauptlast einer neuen Migrationswelle - sei es reguliert oder unreguliert. Geht es nach den Grünen, erhöht Berlin die Asylleistungen. Das wird sich in den Krisenregionen herumsprechen. Die Folgen sind vorhersehbar. Der ohnehin schon riesige Sozialetat wird sich weiter aufblähen.
Dabei haben viele Kommunen hierzulande den großen Flüchtlingsstrom aus den Bürgerkriegsgebieten in Syrien und dem Irak im Jahr 2015 noch nicht verkraftet. Ein Blick ins Ruhrgebiet nach Essen oder nach Berlin genügt, um die erhebliche Zuwanderung in die Sozialsysteme zu dokumentieren. Laut der Bundesagentur für Arbeit lebten im vergangenen Jahr immer noch zwei Drittel aller erwerbsfähigen Syrer in Deutschland ganz oder teilweise von Hartz IV. Mit 65 Prozent war der Anteil der Bezieher staatlicher Unterstützung unter Zuwanderern aus Syrien im März 2021 deutlich höher als unter Ausländern aus anderen Hauptherkunftsländern wie etwa Somalia oder Afghanistan.
Kein Zweifel, diese Republik braucht eine stete Zuwanderung. Insbesondere einen Zufluss von Fachkräften. Dafür müsste die neue Regierung Anreize schaffen. Mit dem Blue-Card-System der EU ist man allerdings krachend gescheitert. Deshalb müssen andere Lösungen her.
Fazit: Eine verklärte Asylromantik, die Deutschland erneut zur europaweiten Flüchtlingshochburg stilisiert, hilft derzeit nur den Rechtsaußen der AfD und jenen braunen Zirkeln, die plump von einer drohenden Überfremdung warnen.
Quelle: focus.de